Mittwoch

Campus Bockenheim, Hörsaal IV

Adorno-Vorlesungen

Adorno-Vorlesungen

Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern. Im Rahmen der diesjährigen Vorlesungen verbindet der Soziologe Loïc Wacquant sozialtheoretische, historisch-vergleichende und ethnografische Ansätze, um strafrechtliche Praktiken als Kernfunktion des Staates zu untersuchen. Durch den Einsatz von Polizei, Gerichten und Gefängnissen kuratiert der strafende Staat Kriminalität; er hält sozialmoralische Abweichungen in Schach, verwaltet städtische Marginalität und definiert die Grenzen von Staatsbürgerschaft. Wacquant argumentiert dafür, den strafenden Staat daher in den Mittelpunkt einer politischen Soziologie zu rücken, die sich für Fragen von Klasse, Ethnizität und urbanem Raum interessiert.

 

27. November, 18.30 Uhr: Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy  

28. November, 18.30 Uhr: Marginality, Ethnicity, Territory  

29. November, 18.30 Uhr: Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors

 

Die Adorno-Vorlesungen finden auf Englisch statt.

Die Auftaktvorlesung Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy verfolgt einen sozialtheoretischen Ansatz: Selektiv spürt Wacquant verschiedenen Staatstheorien – von Hobbes und Weber über Schmitt und Mann bis zu Scott und Bourdieu – sowie Theorien der Strafe – von Durkheim über Rusche bis Foucault – nach, um ein analytisches Konzept des strafenden Staates zu entwickeln. Der Bestrafung als staatlicher Kernkompetenz kommt, über materialistische Ansätze hinausweisend, der symbolische Zweck öffentlicher Beschämung zu. Hier, so zeigt Wacquant auf, werden die Grenzen des Staatsbürgerstatus sichtbar, wird die soziale und moralische Vernachlässigung marginalisierter Sozialkategorien legitimiert.
In seiner zweiten Vorlesung wendet sich Wacquant unter dem Titel Marginality, Ethnicity, Territory der Sozialgeschichte und vergleichenden Soziologie des strafenden Staates zu. Seit seiner Erfindung im späten 16. Jahrhundert und bis ins 21. Jahrhundert hinein richtet sich dieser durchgehend gegen Bevölkerungsgruppen, die doppelt untergeordnet sind – sowohl hinsichtlich der Klassenordnung (als Arme) als auch ihrer Statusposition (als Außenseiter). Die Vorlesung fragt danach, warum dies so ist und über welche Mechanismen diese Selektivität in formell demokratischen Gesellschaften hergestellt und verstetigt wird. Um diesen Fragen nachzugehen, vergleicht Wacquant die überproportionale Überwachung und Inhaftierung von Schwarzen Menschen in den Vereinigten Staaten und den Umgang mit postkolonialer Migration in Westeuropa. Er rückt damit den Raum als Prisma des staatlichen Handelns in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
In der dritten Vorlesung Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors stützt sich Wacquant auf die Ethnografie, um zu zeigen, dass Strafgewalt nicht nur auf dem Papier stattfindet, sondern sich konkret darin äußert, dass vermeintlich unkontrollierbaren Körpern physische und psychische Schmerzen zugefügt werden. Die Strafgewalt geht von den autoritativen Worten und Taten der Akteure des Strafsystems aus: Polizei, Staatsanwält: innen, Verteidiger:innen, Richter:innen, Bewährungshelfer: innen. Wacquant taucht tief in die alltäglichen Praktiken, Organisationslogiken und Affektwelten von Staatsanwält:innen ein, die er über einen Zeitraum von drei Jahren in einem kalifornischen Strafgericht beobachtete. Abschließend verknüpft er Ethnografie und Theorie, um die zentrale Bedeutung des Strafens für die Definition und Durchsetzung von sozialer Zugehörigkeit hervorzuheben.

 

Loïc Wacquant ist Professor für Soziologie an der University of California in Berkeley und Forscher am Centre Européen de Sociologie et de Science Politique in Paris. Seine Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, jüngst erschienen sind Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023) und Bourdieu in the City. Challenging Urban Theory (2023). Auf Deutsch erschienen sind unter anderem Die Erfindung der »Unterklasse«. Eine Studie zur Politik des Wissens (2023), Die Verdammten der Stadt. Eine vergleichende Soziologie fortgeschrittener Marginalität (2017), Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit (2009), Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto (2003), Elend hinter Gittern (2000) und Reflexive Anthropologie (zusammen mit Pierre Bourdieu, 1996).

 

Loïc Wacquant – Rethinking the Penal State

Since 2002, the Institute for Social Research has organized in cooperation with Suhrkamp Verlag annual lectures commemorating Theodor W. Adorno that are held on three successive evenings. In this year’s lecture the sociologist Loïc Wacquant combines social theory, comparative history and ethnography to probe into criminal punishment as a core function of the state. By deploying the police, court and prison, the penal state curates crime, contains sociomoral disorders, manages urban marginality and draws the boundaries of citizenship. Therefore, Wacquant argues, the penal state must be placed at the epicenter of the political sociology of class, ethnicity and place in the metropolis.

November 27th, 6.30 pm: Penality as Negative Sociodicy

November 28th, 6.30 pm: Marginality, Ethnicity, Territory

November 29th, 6.30 pm: Penality as Carnal Action. The Workaday World of Prosecutors

The lectures will be held in English.

The opening lecture, Penality as Negative Sociodicy, takes a social-theoretical approach: Selectively Wacquant canvasses theories of the state – from Hobbes and Weber to Schmitt and Mann to Scott and Bourdieu – and theories of punishment – from Durkheim to Rusche to Foucault – to elaborate a robust analytic concept of the penal state. Analyzing penality as a core state capacity transcends materialist perspectives by stressing the symbolic purpose of criminal punishment as public disgrace. Thereby, Wacquant brightens the boundary of citizenship and shows how the social and moral dereliction of marginal categories is legitimized.

In his second lecture, Marginality, Ethnicity, Territory, Wacquant turns to social history and comparative sociology. Since its invention in the late 16th century and into the 21st century, the penal state has everywhere targeted doubly subordinated populations in the order of class (the poor) and status (the outsider). In his lecture Wacquant asks why that is the case and what the mechanisms are, through which this selectivity is achieved in formally democratic societies. How does it perpetuate itself? To answer those questions, Wacquant compares the disproportionate policing and incarceration of Blacks in the United States and postcolonial migrants in Western Europe. In this analysis, space is highlighted as a prism of state action.

The closing lecture, Penality as Carnal Action: The Workaday World of Prosecutors, draws on ethnography. Wacquant doesn’t take penal power as a mere paper abstraction but as residing in the concrete infliction of physical and psychic pain upon bodies deemed out of control through the mediation of the authoritative words and deeds of penal actors of flesh and blood: police, prosecutors, defenders, judges, and parole and probation officers. Wacquant delves deeply into the everyday activities, organizational reasoning, and professional emotions of prosecutors at work, which he observed over a period of three years in a California county criminal court. He closes by reuniting ethnography and theory to stress the centrality of punishment in the definition and enforcement of social membership.

Loïc Wacquant is Professor of sociology at the University of California, Berkeley, and Research associate at the Centre Européen de Sociologie et de Science Politique, Paris. His books are translated in twenty languages. His latest works include Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023), Bourdieu in the City (2023).

Donnerstag

Campus Bockenheim, Hörsaal IV

Adorno-Vorlesungen

Adorno-Vorlesungen

Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern. Im Rahmen der diesjährigen Vorlesungen verbindet der Soziologe Loïc Wacquant sozialtheoretische, historisch-vergleichende und ethnografische Ansätze, um strafrechtliche Praktiken als Kernfunktion des Staates zu untersuchen. Durch den Einsatz von Polizei, Gerichten und Gefängnissen kuratiert der strafende Staat Kriminalität; er hält sozialmoralische Abweichungen in Schach, verwaltet städtische Marginalität und definiert die Grenzen von Staatsbürgerschaft. Wacquant argumentiert dafür, den strafenden Staat daher in den Mittelpunkt einer politischen Soziologie zu rücken, die sich für Fragen von Klasse, Ethnizität und urbanem Raum interessiert.

 

27. November, 18.30 Uhr: Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy  

28. November, 18.30 Uhr: Marginality, Ethnicity, Territory  

29. November, 18.30 Uhr: Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors

 

Die Adorno-Vorlesungen finden auf Englisch statt.

Die Auftaktvorlesung Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy verfolgt einen sozialtheoretischen Ansatz: Selektiv spürt Wacquant verschiedenen Staatstheorien – von Hobbes und Weber über Schmitt und Mann bis zu Scott und Bourdieu – sowie Theorien der Strafe – von Durkheim über Rusche bis Foucault – nach, um ein analytisches Konzept des strafenden Staates zu entwickeln. Der Bestrafung als staatlicher Kernkompetenz kommt, über materialistische Ansätze hinausweisend, der symbolische Zweck öffentlicher Beschämung zu. Hier, so zeigt Wacquant auf, werden die Grenzen des Staatsbürgerstatus sichtbar, wird die soziale und moralische Vernachlässigung marginalisierter Sozialkategorien legitimiert.
In seiner zweiten Vorlesung wendet sich Wacquant unter dem Titel Marginality, Ethnicity, Territory der Sozialgeschichte und vergleichenden Soziologie des strafenden Staates zu. Seit seiner Erfindung im späten 16. Jahrhundert und bis ins 21. Jahrhundert hinein richtet sich dieser durchgehend gegen Bevölkerungsgruppen, die doppelt untergeordnet sind – sowohl hinsichtlich der Klassenordnung (als Arme) als auch ihrer Statusposition (als Außenseiter). Die Vorlesung fragt danach, warum dies so ist und über welche Mechanismen diese Selektivität in formell demokratischen Gesellschaften hergestellt und verstetigt wird. Um diesen Fragen nachzugehen, vergleicht Wacquant die überproportionale Überwachung und Inhaftierung von Schwarzen Menschen in den Vereinigten Staaten und den Umgang mit postkolonialer Migration in Westeuropa. Er rückt damit den Raum als Prisma des staatlichen Handelns in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
In der dritten Vorlesung Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors stützt sich Wacquant auf die Ethnografie, um zu zeigen, dass Strafgewalt nicht nur auf dem Papier stattfindet, sondern sich konkret darin äußert, dass vermeintlich unkontrollierbaren Körpern physische und psychische Schmerzen zugefügt werden. Die Strafgewalt geht von den autoritativen Worten und Taten der Akteure des Strafsystems aus: Polizei, Staatsanwält: innen, Verteidiger:innen, Richter:innen, Bewährungshelfer: innen. Wacquant taucht tief in die alltäglichen Praktiken, Organisationslogiken und Affektwelten von Staatsanwält:innen ein, die er über einen Zeitraum von drei Jahren in einem kalifornischen Strafgericht beobachtete. Abschließend verknüpft er Ethnografie und Theorie, um die zentrale Bedeutung des Strafens für die Definition und Durchsetzung von sozialer Zugehörigkeit hervorzuheben.

 

Loïc Wacquant ist Professor für Soziologie an der University of California in Berkeley und Forscher am Centre Européen de Sociologie et de Science Politique in Paris. Seine Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, jüngst erschienen sind Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023) und Bourdieu in the City. Challenging Urban Theory (2023). Auf Deutsch erschienen sind unter anderem Die Erfindung der »Unterklasse«. Eine Studie zur Politik des Wissens (2023), Die Verdammten der Stadt. Eine vergleichende Soziologie fortgeschrittener Marginalität (2017), Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit (2009), Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto (2003), Elend hinter Gittern (2000) und Reflexive Anthropologie (zusammen mit Pierre Bourdieu, 1996).

 

Loïc Wacquant – Rethinking the Penal State

Since 2002, the Institute for Social Research has organized in cooperation with Suhrkamp Verlag annual lectures commemorating Theodor W. Adorno that are held on three successive evenings. In this year’s lecture the sociologist Loïc Wacquant combines social theory, comparative history and ethnography to probe into criminal punishment as a core function of the state. By deploying the police, court and prison, the penal state curates crime, contains sociomoral disorders, manages urban marginality and draws the boundaries of citizenship. Therefore, Wacquant argues, the penal state must be placed at the epicenter of the political sociology of class, ethnicity and place in the metropolis.

November 27th, 6.30 pm: Penality as Negative Sociodicy

November 28th, 6.30 pm: Marginality, Ethnicity, Territory

November 29th, 6.30 pm: Penality as Carnal Action. The Workaday World of Prosecutors

The lectures will be held in English.

The opening lecture, Penality as Negative Sociodicy, takes a social-theoretical approach: Selectively Wacquant canvasses theories of the state – from Hobbes and Weber to Schmitt and Mann to Scott and Bourdieu – and theories of punishment – from Durkheim to Rusche to Foucault – to elaborate a robust analytic concept of the penal state. Analyzing penality as a core state capacity transcends materialist perspectives by stressing the symbolic purpose of criminal punishment as public disgrace. Thereby, Wacquant brightens the boundary of citizenship and shows how the social and moral dereliction of marginal categories is legitimized.

In his second lecture, Marginality, Ethnicity, Territory, Wacquant turns to social history and comparative sociology. Since its invention in the late 16th century and into the 21st century, the penal state has everywhere targeted doubly subordinated populations in the order of class (the poor) and status (the outsider). In his lecture Wacquant asks why that is the case and what the mechanisms are, through which this selectivity is achieved in formally democratic societies. How does it perpetuate itself? To answer those questions, Wacquant compares the disproportionate policing and incarceration of Blacks in the United States and postcolonial migrants in Western Europe. In this analysis, space is highlighted as a prism of state action.

The closing lecture, Penality as Carnal Action: The Workaday World of Prosecutors, draws on ethnography. Wacquant doesn’t take penal power as a mere paper abstraction but as residing in the concrete infliction of physical and psychic pain upon bodies deemed out of control through the mediation of the authoritative words and deeds of penal actors of flesh and blood: police, prosecutors, defenders, judges, and parole and probation officers. Wacquant delves deeply into the everyday activities, organizational reasoning, and professional emotions of prosecutors at work, which he observed over a period of three years in a California county criminal court. He closes by reuniting ethnography and theory to stress the centrality of punishment in the definition and enforcement of social membership.

Loïc Wacquant is Professor of sociology at the University of California, Berkeley, and Research associate at the Centre Européen de Sociologie et de Science Politique, Paris. His books are translated in twenty languages. His latest works include Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023), Bourdieu in the City (2023).

Freitag

Campus Bockenheim, Hörsaal IV

Adorno-Vorlesungen

Adorno-Vorlesungen

Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern. Im Rahmen der diesjährigen Vorlesungen verbindet der Soziologe Loïc Wacquant sozialtheoretische, historisch-vergleichende und ethnografische Ansätze, um strafrechtliche Praktiken als Kernfunktion des Staates zu untersuchen. Durch den Einsatz von Polizei, Gerichten und Gefängnissen kuratiert der strafende Staat Kriminalität; er hält sozialmoralische Abweichungen in Schach, verwaltet städtische Marginalität und definiert die Grenzen von Staatsbürgerschaft. Wacquant argumentiert dafür, den strafenden Staat daher in den Mittelpunkt einer politischen Soziologie zu rücken, die sich für Fragen von Klasse, Ethnizität und urbanem Raum interessiert.

 

27. November, 18.30 Uhr: Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy  

28. November, 18.30 Uhr: Marginality, Ethnicity, Territory  

29. November, 18.30 Uhr: Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors

 

Die Adorno-Vorlesungen finden auf Englisch statt.

Die Auftaktvorlesung Penality as a Core State Capacity and Negative Sociodicy verfolgt einen sozialtheoretischen Ansatz: Selektiv spürt Wacquant verschiedenen Staatstheorien – von Hobbes und Weber über Schmitt und Mann bis zu Scott und Bourdieu – sowie Theorien der Strafe – von Durkheim über Rusche bis Foucault – nach, um ein analytisches Konzept des strafenden Staates zu entwickeln. Der Bestrafung als staatlicher Kernkompetenz kommt, über materialistische Ansätze hinausweisend, der symbolische Zweck öffentlicher Beschämung zu. Hier, so zeigt Wacquant auf, werden die Grenzen des Staatsbürgerstatus sichtbar, wird die soziale und moralische Vernachlässigung marginalisierter Sozialkategorien legitimiert.
In seiner zweiten Vorlesung wendet sich Wacquant unter dem Titel Marginality, Ethnicity, Territory der Sozialgeschichte und vergleichenden Soziologie des strafenden Staates zu. Seit seiner Erfindung im späten 16. Jahrhundert und bis ins 21. Jahrhundert hinein richtet sich dieser durchgehend gegen Bevölkerungsgruppen, die doppelt untergeordnet sind – sowohl hinsichtlich der Klassenordnung (als Arme) als auch ihrer Statusposition (als Außenseiter). Die Vorlesung fragt danach, warum dies so ist und über welche Mechanismen diese Selektivität in formell demokratischen Gesellschaften hergestellt und verstetigt wird. Um diesen Fragen nachzugehen, vergleicht Wacquant die überproportionale Überwachung und Inhaftierung von Schwarzen Menschen in den Vereinigten Staaten und den Umgang mit postkolonialer Migration in Westeuropa. Er rückt damit den Raum als Prisma des staatlichen Handelns in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
In der dritten Vorlesung Penal Power in the Flesh: The Workaday World of Prosecutors stützt sich Wacquant auf die Ethnografie, um zu zeigen, dass Strafgewalt nicht nur auf dem Papier stattfindet, sondern sich konkret darin äußert, dass vermeintlich unkontrollierbaren Körpern physische und psychische Schmerzen zugefügt werden. Die Strafgewalt geht von den autoritativen Worten und Taten der Akteure des Strafsystems aus: Polizei, Staatsanwält: innen, Verteidiger:innen, Richter:innen, Bewährungshelfer: innen. Wacquant taucht tief in die alltäglichen Praktiken, Organisationslogiken und Affektwelten von Staatsanwält:innen ein, die er über einen Zeitraum von drei Jahren in einem kalifornischen Strafgericht beobachtete. Abschließend verknüpft er Ethnografie und Theorie, um die zentrale Bedeutung des Strafens für die Definition und Durchsetzung von sozialer Zugehörigkeit hervorzuheben.

 

Loïc Wacquant ist Professor für Soziologie an der University of California in Berkeley und Forscher am Centre Européen de Sociologie et de Science Politique in Paris. Seine Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, jüngst erschienen sind Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023) und Bourdieu in the City. Challenging Urban Theory (2023). Auf Deutsch erschienen sind unter anderem Die Erfindung der »Unterklasse«. Eine Studie zur Politik des Wissens (2023), Die Verdammten der Stadt. Eine vergleichende Soziologie fortgeschrittener Marginalität (2017), Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit (2009), Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto (2003), Elend hinter Gittern (2000) und Reflexive Anthropologie (zusammen mit Pierre Bourdieu, 1996).

 

Loïc Wacquant – Rethinking the Penal State

Since 2002, the Institute for Social Research has organized in cooperation with Suhrkamp Verlag annual lectures commemorating Theodor W. Adorno that are held on three successive evenings. In this year’s lecture the sociologist Loïc Wacquant combines social theory, comparative history and ethnography to probe into criminal punishment as a core function of the state. By deploying the police, court and prison, the penal state curates crime, contains sociomoral disorders, manages urban marginality and draws the boundaries of citizenship. Therefore, Wacquant argues, the penal state must be placed at the epicenter of the political sociology of class, ethnicity and place in the metropolis.

November 27th, 6.30 pm: Penality as Negative Sociodicy

November 28th, 6.30 pm: Marginality, Ethnicity, Territory

November 29th, 6.30 pm: Penality as Carnal Action. The Workaday World of Prosecutors

The lectures will be held in English.

The opening lecture, Penality as Negative Sociodicy, takes a social-theoretical approach: Selectively Wacquant canvasses theories of the state – from Hobbes and Weber to Schmitt and Mann to Scott and Bourdieu – and theories of punishment – from Durkheim to Rusche to Foucault – to elaborate a robust analytic concept of the penal state. Analyzing penality as a core state capacity transcends materialist perspectives by stressing the symbolic purpose of criminal punishment as public disgrace. Thereby, Wacquant brightens the boundary of citizenship and shows how the social and moral dereliction of marginal categories is legitimized.

In his second lecture, Marginality, Ethnicity, Territory, Wacquant turns to social history and comparative sociology. Since its invention in the late 16th century and into the 21st century, the penal state has everywhere targeted doubly subordinated populations in the order of class (the poor) and status (the outsider). In his lecture Wacquant asks why that is the case and what the mechanisms are, through which this selectivity is achieved in formally democratic societies. How does it perpetuate itself? To answer those questions, Wacquant compares the disproportionate policing and incarceration of Blacks in the United States and postcolonial migrants in Western Europe. In this analysis, space is highlighted as a prism of state action.

The closing lecture, Penality as Carnal Action: The Workaday World of Prosecutors, draws on ethnography. Wacquant doesn’t take penal power as a mere paper abstraction but as residing in the concrete infliction of physical and psychic pain upon bodies deemed out of control through the mediation of the authoritative words and deeds of penal actors of flesh and blood: police, prosecutors, defenders, judges, and parole and probation officers. Wacquant delves deeply into the everyday activities, organizational reasoning, and professional emotions of prosecutors at work, which he observed over a period of three years in a California county criminal court. He closes by reuniting ethnography and theory to stress the centrality of punishment in the definition and enforcement of social membership.

Loïc Wacquant is Professor of sociology at the University of California, Berkeley, and Research associate at the Centre Européen de Sociologie et de Science Politique, Paris. His books are translated in twenty languages. His latest works include Jim Crow. Le Terrorisme de Caste en Amérique (2024), Racial Domination (2024), Misère de l’Ethnographie de la Misère (2023), Bourdieu in the City (2023).

Donnerstag – Freitag

Goethe-Universität Frankfurt a. M. Campus Bockenheim, Mertonstraße 17–21, Hörsaalgebäude, Raum H 14

Tagungen, Konferenzen, Workshops

Tagungen, Konferenzen, Workshops

Veranstaltung zum 100. Geburtstag von Karl Heinz Haag

Seine Lehrveranstaltungen vermittelten Generationen von Studierenden Kenntnisse, die für ein Philosophiestudium und ein kritisches Studium der Soziologie einmal unabdingbar waren. Der vor hundert Jahren im Frankfurter Vorort Höchst geborene Karl Heinz Haag entstammte einer Handwerkerfamilie, legte in Sankt Georgen, der Hochschule der Jesuiten in Frankfurt Oberrad, sein Philosophicum ab und war nach Dissertation und Habilitation enger Mitarbeiter von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Er gehörte in den Kreis derer, auf den die Zurückgekehrten all ihre Hoffnung setzten. »Seien Sie davon überzeugt«, schrieb ihm Horkheimer, »dass unsere Verbindung zum Schönsten gehört, was mir an der Universität seit meiner Ankunft aus Amerika widerfahren ist.«

Haag gab seine Professur 1971 auf und widmete sich ganz der philosophischen Forschung. Die Distanz zum technokratisch verregelten Hochschulbetrieb verschaffte ihm die Freiheit, sich Grundlagenproblemen der Kritischen Theorie zuzuwenden. Metaphysik als rationale Weltauffassung, lautet sein unzeitgemäßer Anspruch, dem diese Veranstaltung nachspüren wird.

Frau Ina Hartwig, die Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, wird die Veranstaltung eröffnen.  Ein Grußwort wird der Direktor des Instituts für Sozialforschung, Stephan Lessenich, sprechen.

 

Es referieren:

Günther Mensching, Die nominalistische Wende der Aufklärung und Haags metaphysische Begründung der Kritischen Theorie

Stephan Herzberg, Die Bedeutung von Scholastik und Neuscholastik für Haags Metaphysik

Hermann Kocyba, Wesenslogik und Gesellschaftskritik. Karl Heinz Haag und Hans-Jürgen Krahl

Wolfgang Bock, Negative Metaphysik bei Haag

Mathias Jehn, Zur Einordnung des Nachlasses von Karl Heinz Haag in der Universitätsbibliothek Frankfurt

Friderun Fein, Erinnerungen an einen von der Bildfläche Verschwundenen

Peter Kern, Kritik der Religionskritik und Begründung einer politischen Ökologie. Zu Haags Wesensbegriff

André Möller, Adorno im Café Anna Blume, Haag in Frankfurt-Höchst. Kritische Theorie als para-akademische Praxis

 

Zu jedem Vortrag ist ein Co-Kommentar und eine anschließende Diskussion vorgesehen.

Weitere Informationen unter: karl-heinz-haag.de

Dienstag

Insitut für Sozialforschung

Öffentliche Vorträge

Öffentliche Vorträge

Marcel Stoetzler im Gespräch mit Christine Achinger, Matthew Bolton und Werner Bonefeld

Der Sammelband Critical Theory and the Critique of Antisemitism zeigt, wie kritische Theorie sich von herkömmlichen sozialistischen oder liberalen Kritiken des Antisemitismus unterscheidet. Kritische Theorie kritisiert den Antisemitismus in dessen Verwobenheit mit anderen Aspekten der modernen kapitalistischen Gesellschaft, die wiederum von traditionellen Theorien oft unhinterfragt gelassen oder nur beiläufig zum Gegenstand der Kritik gemacht werden. Dies betrifft unter anderem Fragen von Identität,  Nation, Rassismus und  Sexualität. Die Aufsätze des Bandes untersuchen die antisemitismuskritischen Texte der Frankfurter Schule und legen dabei die Verbindungen zu anderen virulenten gesellschaftlichen Fragen offen, wie etwa zum Rassismus im weiteren Sinne, dem Patriarchat, dem Staat sowie den Dynamiken der sich stets verändernden kapitalistischen Produktionsweise.

Um auch praktisch Wirkung zu entfalten, bringt er interdisziplinär arbeitende Wissenschatler:innen und Aktivist:innen zusammen, die die kritische Theorie nutzen, um rechte wie linke Formen des Antisemitismus zu analysieren. Diese entwickeln in ihrer Antisemitismuskritik auch eine Kritik des Kapitalismus, indem sie fragen: Warum scheint die kapitalistische Gesellschaft stets Antisemitismus zu produzieren? Und wie können wir dem begegnen?

In einer Zeit, in der der Populismus international neue Spielarten des Antisemitismus hervorgebracht hat, stellt der Band eine wichtige Ressource dar, um die ungebrochene Relevanz der kritischen Theorie der Frankfurter Schule für den Kampf gegen Antisemitismus heute aufzuzeigen.

Bei der Veranstaltung werden die Hauptthemen des kürzlich erschienenen Sammelbandes Critical Theory and the Critique of Antisemitism. London: Bloomsbury 2023 vorgestellt und diskutiert. Vier Autor:innen, darunter der Herausgeber sowie der Herausgeber der Reihe Critical Theory and the Critique of Society, in der Band publiziert wurde, werden in je fünfzehnminütigen Beiträgen ihr Hauptargument sowie der Argumente des gesamten Buches vorstellen. Zudem wird es zwei Kommentator:innen (tba) und mehrere fünfminütige online-Inputs anderer Autor:innen geben.

Für die Teilnahme wird um eine Anmeldung per Mail an anmeldung@ifs-frankfurt.de gebeten. Bitte geben Sie bei der Anmeldung an, ob Sie vor Ort oder per Zoom teilnehmen möchten.

Christine Achinger ist Associate Professor of German Studies an der University of Warwick und derzeit Fellow am Institut für Sozialforschung.

Matthew Bolton ist Post-doctoral Research Fellow an der Queen Mary University of London.

Werner Bonefeld ist Professor Emeritus am Department of Politics and International Relations der University of York und Mitherausgeber der Reihe Critical Theory and the Critique of Society.

Marcel Stoetzler ist Senior Lecturer für Soziologie an der Bangor University, Horkheimer Fellow am Institut für Sozialforschung und Herausgeber des Sammelbandes Critical Theory and the Critique of Antisemitism.

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Critical Theory and the Critique of Antisemitism uncovers how critical theory differs from mainstream socialist or liberal critiques of antisemitism, as it frames its rejection of antisemitism in the critique of other aspects of modern capitalist society, which traditional theories leave unchallenged or critique only in passing. Amongst others, these include issues of identity, nation, race, and sexuality. In exploring the Frankfurt School's writings on antisemitism therefore, the chapters in this book reveal connections to other pressing societal issues, such as racism more broadly, patriarchy, statism, and the societal dynamics of the ever-evolving capitalist mode of production.
Putting the theory to practice, this volume brings together interdisciplinary scholars and activists who employ critical theory to scrutinise right- and left-wing manifestations of antisemitism. They develop, in their critique of antisemitism, a critique of capitalism, as the authors ask: why does modern capitalist society seem bound to produce antisemitism? And how do we challenge it?
At a time when the rise of populism internationally has brought with it new strains of antisemitism, this is an essential resource that demonstrates the continuing relevance of the critical theory of the Frankfurt School for the struggle against antisemitism today.
The event will introduce main themes from the recently published edited volume Critical Theory and the Critique of Antisemitism. London: Bloomsbury 2023. Four contributors, including the editor of the volume and one of the editors of the series Critical Theory and the Critique of Society in which the book was published will each give fifteen-minute presentations of their main arguments, and those of the book as a whole. There will be two discussants (tbc) and several five-minute online presentations by other contributors to the volume (tbc), either in real-time or pre-recorded.

To participate in the event please register in advance via the following e-mail address: anmeldung@ifs-frankfurt.de. It is possible to participate via zoom. Please let us know in that case.

Christine Achinger is Associate Professor of German Studies at the University of Warwick and currently Fellow at the Institute for Social Research.

Matthew Bolton is a Post-doctoral Research Fellow at the Queen Mary University of London.

Werner Bonefeld is Professor Emeritus at the Department of Politics and International Relations of the University of York and one of the editors of the series Critical Theory and the Critique of Society.

Marcel Stoetzler is Senior Lecturer in Sociology at Bangor University, Horkheimer Fellow at the Institute for Social Research and editor of the volume Critical Theory and the Critique of Antisemitism. London: Bloomsbury 2023.