Oliver Nachtwey und Timo Seidl | Die Ethik der Solution und der Geist des digitalen Kapitalismus

Oliver Nachtwey, Timo Seidl
Die Ethik der Solution und der Geist des
digitalen Kapitalismus
IfS Working Paper #11


Der Beitrag argumentiert, dass sich im Zuge der Herausbildung eines »digitalen Kapitalismus« auch die Herausbildung eines neuen, digitalkapitalistischen Geistes beobachten lässt. In einem ersten Schritt wird in ideengeschichtlicher Auseinandersetzung mit Sombart, Weber sowie Boltanski und Chiapello ein Begriff des kapitalistischen Geistes gewonnen, der sich als das soziohistorisch variierende Gesamt der normativen Wissensbestände definieren lässt, die das Handeln kapitalistischer Akteure motivieren und legitimieren. Diese Konzeptualisierung wird anschließend unter Rückgriff auf die Soziologie der Rechtfertigung mit theoretischem Leben gefüllt und zur Analyseheuristik einer strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring herangezogen. Das Sample der Analyse besteht aus insgesamt 34 Dokumenten (628 Codings) von und über digitale Eliten, in denen zum Ausdruck kommt, wie diese ihr unternehmerisches Handeln motivieren und legitimieren. Unsere Befunde erlauben zunächst einem illustrativen Überblick über die Verschiebungen zwischen dem von Boltanski und Chiapello identifizierten »neuen« und dem hier untersuchten digitalkapitalistischen Geist. Im Zentrum dieses digitalkapitalistischen Geistes und damit auch unseres Beitrags steht jedoch eine neue und eigenständige Rechtfertigungsordnung, die wir im Anschluss an Morozov als Polis der Solution bezeichnen. Diese wird einerseits hinsichtlich ihrer Genese aus der jüngeren (Sozial-)Kritik am Kapitalismus normativ rekonstruiert. Andererseits wird sie hinsichtlich ihrer Struktur als Rechtfertigungsordnung analysiert, in der sich Wertigkeit über das technologisch-unternehmerische (und nicht etwa politische) Lösen von Menschheitsproblemen definiert und die im »Weltverbessererunternehmer « ihren idealen Vertreter findet.

Ausgabe
11 (Oktober 2017)
ISSN
2197–7070