Verbundprojekt: Qualifizierung und Beratung für die Arbeitsmarktintegration von qualifizierten Migranten und Migrantinnen. Eine Machbarkeitsstudie

Die Machbarkeitstudie ist eine Kooperation des Instituts mit dem Verein beramí e. V.

Fachkräfte werden unter potentiellen Migranten und Migrantinnen im Ausland, nicht aber unter den in Deutschland lebenden Migranten und Migrantinnen gesucht. Auf der anderen Seite verfügen 14 Prozent der Zugewanderten über Hochschul- und Fachhochschulabschlüsse. Viele der als Asylsuchende, Heiratsmigrant(inn)en und Aussiedler(innen) Eingewanderten sind als qualifiziert einzustufen. Dennoch gehen sie in einem überproportionalen Maße niedrig qualifizierten und schlecht bezahlten Tätigkeiten nach. Nach Angaben der OECD sind 20,3 Prozent der Migranten und 23,6 Prozent der Migrantinnen in Deutschland unterqualifiziert beschäftigt.

Empirische Basis des Projekts sind Gespräche mit Personalverantwortlichen aus 10 Organisationen und mit Vertretern unterschiedlicher Verbände und Einrichtungen.
Ergebnisse:

1. Ein erstes Problem der Arbeitsmarktintegration beruht auf den Schwierigkeiten der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und auf ihrer für Personalverantwortliche in Deutschland oftmals geringen Transparenz. Diesen Hindernissen ist mit einer Erleichterung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und einer verbesserten Transparenz der Inhalte der jeweiligen Studiengänge und der Qualifikationen der Bildungsausländer(innen) zu begegnen. Entsprechende Vorhaben sind in der politischen Debatte. Auch für die Migrant(inn)en ist das derzeitige Verfahren für die Anerkennung ihrer Abschlüsse in Deutschland zu intransparent und unübersichtlich. Deshalb sind auch hier Verbesserungen wichtig.

2. Insbesondere für Klein- und Mittelunternehmen ist es sehr schwierig, das Potenzial von Bildungsausländer(inne)n einzuschätzen und auf dem Arbeitsmarkt in Kontakt mit den passenden Arbeitsuchenden zu kommen. Das betrifft insbesondere den Ingenieurbereich. Deshalb wird von Experten hier der Vorschlag ins Spiel gebracht, vermittelnde Brancheninstitutionen einzurichten.

3. Viele hochqualifizierte Migrant(inn)en haben in Deutschland Schwierigkeiten, in ihrem Beruf qualifikationsadäquat Fuß zu fassen, sei es wegen der Schwierigkeiten der Anerkennung ihrer Abschlüsse, wegen aufenthaltsrechtlicher Probleme oder wegen der Notwendigkeit, erst die Sprachkenntnisse zu entwickeln, sozial heimisch zu werden und sich zu vernetzen. Wenn sie daher längere Zeit nicht qualifikationsadäquat tätig waren, gewinnen Personalverantwortliche leicht den Eindruck, ihr Wissen sei veraltet. Um diesem Problem zu begegnen, sind Maßnahmen der Nachqualifizierung nötig, die auf spezifizierte Defizite beziehungsweise Erwartungen in Deutschland zielen. Hilfreich wäre auch die Erleichterung von verkürzten Zweitstudien. Ihre tatsächlichen Potenziale könnten Migrant(inn)en auch in Praktika und anderen Formen der Probearbeit unter Beweis stellen. Sie sollten daher vermehrt angeboten werden.

4. Migrationsverläufe führen oftmals dazu, dass die Bildungsausländer(innen) keine Lebensläufe vorweisen können, die den von Personalverantwortlichen in der Regel erwarteten Kriterien der Stetigkeit, der Lückenlosigkeit und der Aufstiegsbewegung entsprechen. Abgesehen davon, dass Erwerbslücken, die durch die Probleme der Anerkennung ausländischer Abschlüsse bedingt sind, durch die bereits genannten Maßnahmen verringert werden können, erfordert eine Minderung des Hemmnisses durch »unstete Lebensläufe«, dass sich in den Unternehmen die Bewertung von Lebensläufen ändert. Dies betrifft nicht nur Migrant(inn)en, sondern ebenso die typischerweise unstetigeren Erwerbsverläufe von Frauen als Müttern, aber auch generell die von der Flexibilisierung der Wirtschaft bedingten diskontinuierlichen und flexibleren Erwerbsbiographien. Sie werden im Rekrutierungsprozess der Unternehmen nach wie vor sehr häufig als Problem gesehen. Hier ist ein Einstellungswandel nötig. Insbesondere müssen die Flexibilitätsleistungen höher bewertet werden, die Bildungsausländer(innen) gerade durch die Anforderungen der Migration und der Neuintegration bewiesen haben. Um diesen Einstellungswandel zu fördern, sind auf der einen Seite an die Unternehmen adressierte Aufklärungsprojekte sinnvoll, die auf die Einseitigkeit der oft impliziten Lebenslaufideale aufmerksam machen und Vorteile flexibler Biographien verdeutlichen, auf der anderen Seite den Migrant(inn)en dabei helfen, ihre »abweichenden« Biographien selbst nicht als Nachteil, sondern auch als Potenzial zu sehen und in ihren Bewerbungen entsprechend deutlich zu machen.

5. Die unzureichende Sprachkompetenz ist ein oft genanntes Hemmnis für die Einstellung hochqualifizierter Migrant(inn)en. Hier sind Sprachkurse und ähnliche Projekte von großer Hilfe. Sprachkompetenz geht jedoch über die Verfügung über grammatische Kenntnisse und Wortschatz hinaus. Sie umfasst auch die soziolingustische Kompetenz, also die Fähigkeit, mit den jeweiligen Gesprächspartnern so zu sprechen, wie es in einer bestimmten Kultur als angemessen gilt: Wie bittet man, wie entschuldigt man sich, wie stellt man seine eigene Meinung einer anderen gegenüber? Wie redet man mit Vorgesetzten, wie mit Kunden – und wie in einer Bewerbungssituation? Diese Regeln sind kulturell unterschiedlich und oft auch den Muttersprachlern nur implizit geläufig. Die zur Bearbeitung dieses »soziolinguistischen« Defizits von Migrant(inn)en erforderlichen Fortbildungen und Kurse müssen daher auch Aspekte der interkulturellen Kompetenz umfassen.

6. Ein wesentliches Rekrutierungskriterium ist aus Sicht von Personalverantwortlichen die soziale Passung von Bewerber(inne)n zu den Teams, den Kolleg(inn)en und künftigen Vorgesetzten. Allgemein geht man davon aus, dass die soziale und kommunikative Kompetenz eine immer größere Bedeutung für erfolgreiche Beschäftigung gewinnt. Kulturelle Besonderheiten der noch nicht lange in Deutschland ansässigen Bildungsausländer(innen) werden vor diesem Hintergrund allerdings oft als Problem fehlender sozialer Passung, als mangelnde soziale und kommunikative Kompetenz interpretiert. Um diesem Problem entgegenzuwirken und die Akzeptanz von kulturell anders sozialisierten Migrant(inn)en zu steigern, werden verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen:

a) Die Durchführung interkultureller Trainings für Migrant(inn)en, aber auch für bereits beschäftigte Mitarbeiter(innen). Sie können auf beiden Seiten die Kenntnis der jeweiligen Verhaltensgewohnheiten und der Formen des Verstehens erhöhen und die Fähigkeit steigern, sich situationsadäquater zu verhalten. Solche Trainings können in Unternehmen durchgeführt werden, wo sie auch die positiven Effekte von Diversity steigern können, sie sollten aber auch von Weiterbildungseinrichtungen für Migrantinnen und Migranten angeboten werden, auch im Zusammenhang mit Sprachkursen und -trainings.

b) In Unternehmen gibt es positive Erfahrungen mit Mentoring- oder Tandem-Programmen, in denen Beschäftigte unterschiedlichen Alters und verschiedener Betriebszugehörigkeit, zur Einführung und Karriereförderung neuer und erfolgversprechender Mitarbeiter(innen) für eine gewisse Zeit einander unterstützen, beraten und auch kritisieren. Derartige Maßnahmen sollten auch verstärkt für die Kooperation von Mitarbeiter(inne)n unterschiedlicher kultureller Herkunft in Angriff genommen werden. Auf diese Weise können das gegenseitige Verständnis und damit auch die Kooperationsfähigkeit zwischen den Mitarbeiter(inne)n verbessert werden. So können auch die Befürchtungen abgebaut werden, dass die soziale Passung bei der Beschäftigung anderskultureller Bewerber nicht gesichert sein könnte.

7. Die Probleme interkultureller Differenzen werden nicht nur in der Arbeitskooperation, sondern mehr noch im Kontakt mit Kunden gesehen. Befürchtungen sind verbreitet, Angehörige bestimmter Ethnien könnten von den jeweiligen Kundenkreisen nicht akzeptiert werden. Diese Befürchtung kann sich auf Unterschiedliches richten: Vorurteile von Kunden gegenüber bestimmten Ethnien, sprachliche und interkulturelle Unterschiede und Missverständnisse, kulturelle Verhaltens- und Selbstdarstellungsweisen (Körpersprache, Kopftuch). Hier mit Maßnahmen entgegenzuwirken, erscheint schwierig. Dieses Problem zu verringern ist eine allgemein gesellschaftliche Aufgabe, zu der öffentlichkeitswirksame Aktionen und Projekte beitragen können.

8. Personalverantwortliche benennen aber auch spezifische Vorteile, die sie in der Beschäftigung hochqualifizierter Migrant(inn)en sehen. Das betrifft vor allem Kontexte, in denen die Unternehmen in einem polykulturellen Kontext tätig sind, also mit Kunden, Adressaten und auch Mitarbeiter(inne)n zu tun haben, die unterschiedlicher kultureller Herkunft sind. Die Vorteile der Migrant(inn)enbeschäftigung werden gerade in ihrer Nähe zu diesen Gruppen gesehen, sei es wegen ihrer Sprachkenntnisse, ihrer Vertrautheit mit den jeweiligen kulturellen Verhaltensweisen oder wegen ihrer Übersetzungs- und Mittlerpotenziale. Zwar besteht hier die Gefahr, dass die hochqualifizierten Migrant(inn)en in ihrer beruflichen Entwicklung in solchen Einsatzfeldern eingekapselt werden, aber gleichwohl sollten diese Vorteile durch Maßnahmen gefördert werden. Zu nennen sind hier zum einen die Förderung der Herkunftssprache (ohne Vernachlässigung der Deutschkenntnisse) und die zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung der Herkunftskultur der Migrantinnen und Migranten. In interkulturellen Trainings können die Bildungsausländer(innen) gleichsam als Expert(inn)en wirken, auch etwa in der Vorbereitung inländischer Mitarbeiter für Auslandseinsätze.

Vorteile der Beschäftigung hochqualifizierter Migrant(inn)en werden auch im Einsatz in internationalen Kontakten gesehen, seien es Auslandseinsätze oder informationstechnisch basierte globale Arbeitskooperationen. Auch hier sind gerade gute Kenntnisse der Herkunftssprache wie auch die Vertrautheit mit der Herkunftskultur von Vorteil. Hinzu kommt aber sicher auch die durch die Migration bewiesene Fähigkeit, sich in unterschiedlichen kulturellen Umgebungen zu verhalten und die Kooperation mit interkultureller Sensibilität erfolgreich zu gestalten. Daher sind hier gleichfalls die Förderung der Mehrsprachigkeit und die Wertschätzung der Herkunftskultur als Maßnahmen zu nennen, die auch den Migrant(inn)en ein Gefühl ihrer Fähigkeiten und Potenziale vermitteln.

9. Mehrere Personalverantwortliche brachten zum Ausdruck, dass ihnen das Ziel der Diversität der Belegschaft wichtig ist, weil so die interkulturellen Kompetenzen gestärkt, Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden können und ein vielfältigeres und offeneres Arbeitsklima mit erhöhten Innovationspotenzialen gefördert werde. Hier können hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten einen wesentlichen Beitrag leisten. Um die Arbeitsmarktintegration von Bildungsausländer(inne)n zu fördern, ist es daher wichtig, dass das Diversity Management fortentwickelt und die Wertschätzung unterschiedlicher Kulturen in den Belegschaften unterstützt wird.

Maßnahmen zur besseren Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten müssen also auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Sie müssen zum einen die Migrantinnen und Migranten in ihrer Fähigkeit stärken, sich sprachlich und interkulturell kompetent auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bewegen, sich dabei ihrer spezifischen sprachlichen und kulturellen Potenziale bewusst zu sein und Defizite und Erneuerungsbedarf ihrer Qualifikation durch Fort- und Weiterqualifikation zu beheben. Sie müssen sich aber auch an die Unternehmen richten, um hier die Vorteile der Beschäftigung dieser Personengruppe zu verdeutlichen und durch entsprechende Initiativen (interkulturelle Trainings, Mentoringprogramme, Praktikaangebote usw.) die wechselseitige Anpassung von Verhaltensweisen und die Akzeptanz einer diversen Belegschaft zu fördern. Und sie müssen schließlich durch geeignete öffentlichkeitswirksame Maßnahmen die Wertschätzung unterschiedlicher Kulturen unterstützen. Die Erleichterung ausländischer Abschlüsse und ihre verbesserte Transparenz ist hierfür eine unerlässliche, aber noch nicht ausreichende Maßnahme.
Qualifizierungs- und Beratungsprojekten kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu:

- Beratungsmaßnahmen können die Transparenz der ausländischen Abschlüsse für Unternehmen und der Anerkennungsverfahren für Migrantinnen und Migranten verbessern.

- Nach- und Weiterqualifizierungsprojekte sind hilfreich, um die Adaption der Qualifikationen an die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes zu steigern und die erworbenen Qualifikationen zu aktualisieren.

- Sprachkurse und interkulturelle Trainings sind hilfreich, um nicht nur die Sprachkenntnisse, sondern auch den soziokulturellen Gebrauch der Sprache zu entwickeln.

- Trainings in interkultureller Kompetenz und Aufklärungsmaßnahmen über die spezifischen Vorteile von Migrantenbeschäftigung können die Akzeptanz der Beschäftigung von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten steigern.

- Beratungsprojekte über die Einführung von Mentoren- und Tandemkonzepten in Unternehmen regen zu Maßnahmen der besseren Integration in Unternehmen an.

- Bewerbungstrainings vermitteln Migrant(inn)en Kenntnisse über den Bewerbungsstil, die Erwartungen der Unternehmen und die angemessene Darstellung der eigenen Kompetenzen in Bewerbungsverfahren.

- Beratungsmaßnahmen für Personalverantwortliche können diesen Informationen über kulturelle Verhaltensweisen und über die Integrationsmöglichkeiten von Bewerber(inne)n im Rekrutierungsprozess vermitteln.

Veröffentlichungen

Kontos, Maria und Stephan Voswinkel (unter Mitarbeit von Mario Neumann und Ana-Violeta Sacaliuc) 2010: Ungenutzte Kompetenzen. Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten. Hg. vom Institut für Sozialforschung Frankfurt am Main und beramí berufliche integration e. V. Frankfurt a. M.

 

Antragsteller:in
Projektbearbeitung