Religiöse Ideen und soziales Handeln. Christliche Rechtfertigungsnarrative zwischen Gesellschaftskritik und Legitimitätsglauben

Projektbearbeitung: Thomas Kuhn M. A.

Das Forschungsprojekt untersucht religiöse Ideen, die in verschiedenen christlichen Gemeinschaften Deutschlands vorherrschen und die Haltung der Gläubigen zur – weitgehend säkularen und von sozialen Ungleichheiten geprägten – Gesellschaft bestimmen. Im Anschluss an die Schriften Max Webers behandelt es religiöse Ideen als Explanans für legitimierende oder gesellschaftskritische Orientierungen und Handlungsformen. Unter »religiösen Ideen« sind dabei nicht theologische Denkgebäude zu verstehen, sondern kognitive Gehalte der gelebten Alltagsreligiosität – die allerdings ihrerseits von kirchlichen Dogmen und theologischen Schulen inspiriert sein können. Im Forschungsprojekt sollen solche Ideen und die mit ihnen verbundenen Rechtfertigungsnarrative analysiert werden, ohne sie von ihren realgeschichtlichen Entstehungskontexten und gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemkonstellationen zu isolieren, in denen sie von den jeweiligen Akteuren adaptiert werden.

Die empirische Studie geht den skizzierten Fragen anhand kontrastiver Fallstudien nach, die in evangelischen und katholischen Parochialgemeinden, Orden, Laienvereinigungen und Freikirchen durchgeführt werden. Mit Methoden der ethnographischen Feldforschung und hermeneutischen Interpretation rekonstruiert es verschiedene religiöse Rechtfertigungsnarrative und die darin enthaltenen Ordnungsvorstellungen. Darauf aufbauend werden die entsprechenden Narrative vergleichend auf ihre Auswirkungen auf das alltagspraktische Handeln sowohl der untersuchten Glaubensgemeinschaften als auch der einzelnen Mitglieder in ihren alltäglichen Lebensvollzügen (in Beruf und Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Familie) erforscht. Dabei ist die Frage nach der »Übersetzung« und »Übersetzbarkeit« religiöser Ideen in säkulare Handlungskontexte, die je eigenen Rechtfertigungsordnungen folgen, von besonderer Bedeutung: Finden solche »Übersetzungen« statt, und wenn ja: wie? Oder ist womöglich zu konstatieren, dass sich in den untersuchten Fällen keine originäre religiöse Sprache mehr nachweisen lässt, die einer wie auch immer gearteten Übersetzung in säkularen Kontexten überhaupt bedürfte?

 

Publikationen (Auswahl)

Sutterlüty, Ferdinand 2016: The Role of Religious Ideas: Christian Interpretations of Social Inequalities, in: Critical Sociology 42. 1, 33‒48.

Kuhn, Thomas 2015: Vorbilder und Feindbilder. Religiöse Ideen in christlichen Gemeinschaften. Gießen: Dissertation, Justus-Liebig-Universität.

Kuhn, Thomas 2015: Auf Tuchfühlung mit einer anderen Wirklichkeit. Eine Begegnung mit dem Pfingstchristentum, in: Heinz Bude, Michael Dellwing und Scott Grills (Hg.): Kleine Geheimnisse. Alltagssoziologische Einsichten. Wiesbaden: Springer VS, 197‒214.

Sutterlüty, Ferdinand 2014: Religiöse Ideen und soziales Handeln: Kirchen zwischen Gesellschaftskritik und Legitimitätsglauben. IfS Working Papers, Nr. 5, 1–34.

Sutterlüty, Ferdinand 2014: Kirchen zwischen Gesellschaftskritik, Affirmation und Eskapismus: Zur Rolle religiöser Ideen, in: Patrick Heiser und Christian Ludwig (Hg.): Sozialformen der Religionen im Wandel. Wiesbaden: Springer VS 2014, 211‒235.

Sutterlüty, Ferdinand 2013: Christliche Deutungen sozialer Ungleichheit, in: Oliver Berli und Martin Endreß (Hg.): Wissen und soziale Ungleichheit. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, 126‒148.

Sutterlüty, Ferdinand 2012: Religion in sozialen Inklusions- und Exklusionsprozessen, in: Kurt Appel, Christian Danz, Richard Potz, Sieglinde Rosenberger und Angelika Walser (Hrsg.): Religion in Europa heute. Sozialwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche und hermeneutisch-religionsphilosophische Perspektiven. Göttingen: Vienna University Press bei V&R unipress, 41–65.

Sutterlüty, Ferdinand (Hg.) 2011: »Postsäkularismus?«. Themenschwerpunkt in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung  8. 2 (mit Beiträgen von José Casanova, Hans-Joachim Höhn, Thomas M. Schmidt und Oliver Sturm), 65‒110.

Sutterlüty, Ferdinand 2011: Einleitung zum Stichwort »Postsäkularismus?«, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 8. 2, 65‒67.

Sutterlüty, Ferdinand 2008: Markt der Nächstenliebe, in: Ferdinand Sutterlüty und Peter Imbusch (Hg.): Abenteuer Feldforschung. Soziologen erzählen. Frankfurt a. M. und New York: Campus, 79–96.

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