Die Frankfurter Seminare Theodor W. Adornos. Edition und Publikation der Gesammelten Sitzungsprotokolle 1949–1969
Ende Oktober 1949 kehrte Theodor W. Adorno aus dem Exil nach Frankfurt am Main zurück. Über Paris erreichte er, der in Europa ein vollkommen Unbekannter war, seine Heimatstadt und findet am 5. November das zerstörte ehemalige Institutsgebäude vor. Noch im selben Monat begann er an der Universität mit seiner Lehre, die sich über die nächsten 20 Jahre bis zu seinem Tod 1969 fortsetzen soll. Zu diesem Zeitpunkt gilt er als einer der einflußreichsten Intellektuellen der Bundesrepublik und Mitbegründer der mittlerweile weltweit bekannten Frankfurter Schule. – Dieser Einfluß ist nicht nur Resultat der Texte, die Adorno im Nachkriegsdeutschland publizierte, sondern auch jener Lehrtätigkeit, die sein Schüler Alfred Schmidt als »ein universitäres Ereignis« bezeichnen wird.
In jenem Wintersemester seiner Rückkunft, 1949/50, hielt Adorno nicht nur eine Vorlesung über die »Theorie der Gesellschaft«, sondern gab zugleich Übungen zur Politik des Aristoteles sowie ein Seminar über die »Transzendentale Dialektik bei Kant«. Bereits in diesem Seminar wählt Adorno eine Vorgehensweise, die er bis zu seinem zuletzt gehaltenen Seminar über »Subjekt-Objekt-Dialektik« im Sommersemester 1969 nicht mehr ändern wird: Pro Seminarsitzung hatte ein Student bzw. eine Studentin ein Protokoll der Sitzung zu verfassen. Er verfuhr hier mit den Seminaren kurzum wie später mit seinen Vorlesungen, die er auf Tonband aufnehmen und transkribieren – das heißt ebenso: protokollieren – ließ, um das einmal Gesagte und also Gedachte nicht zu verlieren, sondern sich ihm später nochmals zuzuwenden. Rolf Tiedemann – Schüler Adornos, Begründer und langjähriger Direktor des Theodor W. Adorno Archivs, Herausgeber der Gesammelten Schriften Adornos und derjenigen Walter Benjamins sowie Initiator und Mitherausgeber der Nachgelassenen Schriften Adornos – erinnert sich: »Das Seminar begann stets mit der Verlesung des Protokolls der vorigen Sitzung, das in der Regel auch den Ausgangspunkt für die Diskussion bildete. Weil die Sitzungsprotokolle scharfer Kritik der Seminarleiter, aber auch von den übrigen Teilnehmern, unterzogen wurden, war es nicht selten schwierig, Studenten zu finden, die bereit waren, das der aktuellen Sitzung zu unternehmen. In diesem Fall, und nur in ihm allein, griff Adorno dann auch einmal zur autoritären Bestimmung des Protokollanten.«
Die Protokolle haben sich größtenteils erhalten, sie lagern im Universitätsarchiv Frankfurt, im Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt sowie im Theodor W. Adorno Archiv. Ziel des Vorhabens ist die editorische Erschließung und Kommentierung sowie schließlich die Publikation sämtlicher jener Sitzungsprotokolle, die im Zeitraum von 1949 bis 1969 in den Frankfurter Seminaren angefertigt wurden. Auf diese Weise soll die universitäre Lehrtätigkeit Adornos während der deutschen Nachkriegszeit möglichst lückenlos kommentiert und in den Kontext der Genese seines Werks gerückt werden.
Nach dem derzeitigen Stand der Forschung werden 479 Sitzungsprotokolle aus 57 Seminaren (aus 34 Semestern) von etwa 330 Verfasserinnen und Verfassern aufzunehmen sein.